Sportbootkaskoschaden

Ein Bootseigner war mit seinem Motorboot in flachem Gewässer mit Schleppangeln unterwegs. Seine Geschwindigkeit betrug ca. 2 kn. Da er sich zu sehr auf die Angeln konzentrierte, kam er vom vorgesehenen Kurs ab und geriet auf Grund. Es war weicher Mudd. Durch Maschine zurück versuchte er loszukommen. Das Boot hatte sich im Mudd so richtig festgesaugt. Erst als er auf volle Kraft zurück ging, (sein Boot hat einen 5 flügeligen Karbonpropeller, der Motor hat 55 PS) kam er frei und nahm sehr schnell Rückwärtsfahrt auf. Der starke Schraubenstrom, der am Kiel entlang nach vorn strömte, hatte das Boot freigespült. Das Ruder lag ca. 45 ° Backbord, weil dort tieferes Wasser war. In der Aufregung vergaß er, die Fahrt zu reduzieren, so daß der Fahrtstrom so hart gegen das Ruder drückte, daß dieses querschlug, gegen den Propeller kam und diesen zerstörte. Mit querstehendem Ruderblatt und defektem Propeller war das Boot manövrierunfähig.
Über Handy rief er den Hafenmeister und ließ sich einschleppen. Das Boot wurde an Land gesetzt, um den Schaden im vollen Umfang zu sehen.
Jetzt machte der Bootseigner den entscheidenden Fehler: Er ließ sofort reparieren, ohne eine Schadenmeldung zu machen und ohne die Weisungen der Versicherung abzuwarten.
Als er nach ca. 1 Monat wieder nach Hause kam, informierte er seinen Versicherungsmakler.
Die Gesellschaft beauftragte ihren „Sachverständigen“.
In einem 10-seitigen Bericht mit 58 ! Anlagen - ich schätze die Kosten hierfür auf ca. 1.000 € - kam er per Ferndiagnose zu folgendem Ergebnis: „... bei Fahrt achteraus, die Klemmschraube des Ruderkokers am Ruderschaft gelöst, wodurch das Ruderblatt in den Karbonpropeller gedrückt wurde und diesen zerstörte.“

Dies ist doch totaler Unsinn! Weiß der Mann überhaupt, wovon er schreibt?
Bitte sehen Sie sich das Foto an. Hat der Ruderkoker eine Klemmschraube? Wieso soll der Ruderkoker ein Verdrehen des Ruderschafts verhindern? Wenn das der Fall wäre, dann wäre doch das Boot nicht mehr steuerbar!
Im Bericht steht weiterhin: „Die Klemmschraube des Quadranten am Ruderschaft war losegekommen.“
„Ursache: Wartungsfehler, Überalterung und /oder Oxydation.“
„Erklärung: Bei ordentlicher Wartung und Nachschau der Ruderanlage ist die Kontermutter der gegenständlichen Klemmschraube zu lösen, die Ruderanlage zu kontrollieren, bzw. diese einzustellen, die Klemmung wieder herzustellen und die Schraube zu kontern.“
Das ist doch totaler Unsinn!
Kontrollieren Sie, vorausgesetzt, Sie hätten Alljahresreifen, jedes Jahr Ihre Radmuttern? Außerdem hat die Schraube, die der „Sachverständige“ als Klemmschraube bezeichnet, eine ganz andere Aufgabe als zu klemmen.
In diesem Absatz wird klar, was der „Sachverständige“ mit Klemmschraube meint, weil nur eine einzige Schraube eine Kontermutter hat. Diese Schraube hat nicht die Aufgabe, irgend etwas zu klemmen, sondern zu justieren! In der Mitte des Ruderschafts befindet sich an dieser Stelle eine Vertiefung. Die Schraube soll verhindern, daß sich der Ruderschaft beim Anziehen der seitlichen Klemmschrauben verdreht und so der Ruderquadrant nicht genau mittig auf dem Ruderschaft sitzt. Die Folge wäre, daß der Autopilot neu justiert werden müßte. Im schlimmsten Falle wären die maximalen Ruderausschläge unterschiedlich.  Was man jährlich machen könnte, ist, die seitlichen Klemmschrauben mit dem Drehmomentenschlüssel auf Spannung prüfen.

Bitte sehen Sie sich das Foto rechts einmal auf Rost (Oxydation) an. Die Anlage ist vor 44 Jahren feuerverzinkt worden. Sehen Sie da Spuren von Rostfraß? Allenfalls ist etwas Flugrost zu erkennen, dieser beeinträchtigt die Funktion der Anlage nicht im geringsten.

Die Gesellschaft lehnte die Regulierung des Schadens mit folgender Begründung ab:
“Dem Gutachten entnehmen wir, daß sich die Klemmschraube des Ruderkokers während der Fahrt am Ruderkoker gelöst hatte, das Ruderblatt in den Karbonpropeller drückte und diesen zerstörte. Ursächlich für das Lösen der Schraube waren Überalterung, Oxydation einhergehend mit mangelhafter Wartung. Der Schaden wurde somit ohne Fremdeinwirkung verursacht, es handelt sich in diesem Fall um einen Betriebsschaden, d.h. das schadenverursachende Ereignis stand in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang und stellt kein versichertes Ereignis dar.
Eine Ersatzpflicht wäre auch bei der von Ihnen am 23.8.11 nachträglich gemeldeten Grundberührung als Schadenursache nicht gegeben. Zur Grundberührung wäre es demnach ebenfalls aufgrund der defekten Ruderanlage gekommen und der Schaden ohne Fremdeinwirkung entstanden.“
Die Ausführungen der Schadensachbearbeiterin lassen jede Sachkenntnis klar vermissen, nur Bla, Bla, Bla. Das Wesen der Allgefahrendeckung ist ihr fremd! Es ist nicht im Entferntesten der Funke einer fachlichen Argumentation zu erkennen! Es ist frustrierend, wie viel Inkompetenz sich da auf Kosten der Versicherungsnehmer ausruht! Wenn sie sich in den Versicherungsbedingungen ausgekannt hätte, dann hätte sie nicht dieses dubiose „Gutachten“ in Auftrag gegeben, sondern den VN auf sein fehlerhaftes Verhalten und dessen Wirkung aufmerksam gemacht.
Ebenso der Rechtsvertreter in seiner Verteidigungsschrift.
Kein Wort zur Allgefahrendeckung, nur Bla, Bla, Bla über Wartung, Oxydation und Überalterung.
Einen richtig großen Flopp leistet sich der Vertreter der Versicherung bei der Interpretation des Gutachtens des vom Gericht bestellten Sachverständigen: Es wird behauptet: „Das Sachverständigengutachten kommt auf Seite 2 zu dem Ergebnis, daß die Ruderanlage einem Druck standhält, der bei einer Geschwindigkeit von 7,71 Kn entsteht.“
Im Gutachten steht aber: „7,71 Kn ist die max. zulässige Kraft, die durch die Schrauben eingeleitet werden darf, bevor die zulässige Spannung im Berechnungsquerschnitt überschritten wird.“
Mit Schrauben sind die beiden 16 mm Bolzen an der Klemmverbindung gemeint, denn die Überschrift dieses Absatzes lautet: „Spannung im Rechteckquerschnitt“. Es geht hier um Kräfte und nicht um Geschwindigkeiten! Kn heißt hier Kilonewton und nicht Knoten! Knoten wird kn abgekürzt. Physik 6! Mit so einem Anwalt hat man doch vor Gericht keine Chance.
Der Booteigner ließ sich beraten und kam zu folgendem Ergebnis: Es liegt ein Konstruktionsfehler  (siehe hierzu ausführliche Beschreibung unter http://pfusch-auf-booten.domrep40.de) vor, keine mangelnde Wartung etc. Berechnungen ergaben, daß der Klemmbeschlag unter dem Ruderquadranten unterdimensioniert ist! Dieser Beschlag kann bei angenommenen optimalen Werten für die Reibung maximal einer Rückwärtsfahrt von 5 kn widerstehen! Die Berechnungen sind deswegen nicht exakt durchzuführen, weil es für feuerverzinkte Teile keine Werte für den Reibungswiderstand gibt!
Der Bootseigner zog vor Gericht und verlangte Ersatz des entstandenen Schadens.
Das Gericht zog einen vereidigten Sachverständigen hinzu. Dieser kam zum gleichen Ergebnis.
Die Versicherungsbedingungen sehen vor, daß bei Konstruktionsmängeln der Folgeschaden zu erstatten ist, also der Propeller, das Anlandsetzen, die Reparatur (mit Ausnahme der Neujustierung des Ruderquadranten) und das Abslippen.
Der Richter machte dem Kläger klar, daß ihm seine Allgefahrendeckung nicht hilft, wenn er der Gesellschaft keine Gelegenheit zur Besichtigung des Schadens gibt. Dann tritt eine Umkehr der Beweislast ein. War dem Kläger bis hierher der Beweis des Konstruktionsfehlers gelungen, sollte er als nächstes durch Sachverständigengutachten beweisen, daß der Schaden am Propeller, ca. 2.900 €, dadurch entstanden ist, daß das Ruderblatt quergeschlagen ist und nicht auch hier ein Konstruktionsfehler vorliegt. Der Schaden war 2011 entstanden und längst repariert. Diesen Beweis kann kein Gutachter erbringen. Der Kläger muß nicht nur seinen Schaden, sondern auch noch die Gerichtskosten, die Kosten für das Gutachten – 1.500 € - und die Kosten der Gegenseite bezahlen.

 

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